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Sankt Andreasberg
St. Andreasberg – im Volksmund „Annerschbarrich“ – liegt am langgestreckten Oberharzer Sperrluttertal und ist umgeben von den Höhenzügen Galgenberg (594 m ü. NHN), Glockenberg (627 m ü. NHN), Matthias-Schmidt-Berg (663 m ü. NHN) und Beerberg (658 m ü. NHN). Die ehemals freie Bergstadt beherbergt aktuell etwa 1.600 Einwohner (Stand 2018). Die Oberstadt liegt auf 590-720 m ü. NHN, die Unterstadt auf 500-590 m ü. NHN. Stark abschüssige Straßen, die beide Bereiche miteinander verbinden, verleihen Sankt Andreasberg einen besonderen Charme. So gilt die Andreasberger Herrenstraße mit einer Steigung von 22 % als die steilste innerörtliche Straße im gesamten Harz. Als Wahrzeichen der ehemals freien Bergstadt thront der gelbe Glockenturm der Martinikirche auf der Kuppe des Glockenberges. Über Jahrhunderte ertönte das Geläut nicht nur zu sakralen Zwecken, sondern auch bei Bergunglücken und anderen alarmierenden Ereignissen. Das Schiff der Martinikirche befindet sich innerorts auf dem St. Andreasberger Kirchplatz.
Bergstadt Sankt Andreasberg
Mit Wirkung zum 1. November 2011 hatte der Niedersächsische Landtag die Vereinigung von Braunlage (mit Hohegeiß) und der bis dahin selbständigen Bergstadt Sankt Andreasberg beschlossen. Zur so neugebildeten Stadt Braunlage gehören auch Königskrug und Brunnenbachsmühle sowie die früheren Ortsteile der Bergstadt Stankt Andreasberg: Sonnenberg, Oderhaus, Oderbrück, Oderberg, Odertaler Sägemühle und Silberhütte. Diese „beispielgebende Fusion zweier Oberharzer Städte“, so das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport, versprach neben Verschlankungen auf der Verwaltungsebene eine Prämie zum Schuldenabbau sowie zukünftig verstärkte Investitionen in die lokalen Wintersportangebote. Diese Investitionen flossen zwar überwiegend in den Ausbau der Wintersportanlagen auf dem Wurmberg bei Braunlage; St. Andreasberg braucht sich dennoch keineswegs zu verstecken. Auf dem Matthias-Schmidt-Berg laden mehrere Skipisten mit Doppelsessellift, Schleppbahn und Beschneiungsanlage zum vielfältigen Schneevergnügen ein. Auf „Downhill-Action“ muss auch im Sommer nicht verzichtet werden: Eine Sommerrodelbahn sowie ein Mountain Bike-Park runden das Angebot um den Matthias-Schmidt-Berg ab. Obendrein zeichnet sich St. Andreasberg durch ein heilsames Klima aus. Die Stadt ist seit 2011 als Luftkurort staatlich anerkannt.
Mit dem Kurbetrieb und dem touristischen Fremdenverkehr sind die beiden Haupterwerbszweige St. Andreasbergs bereits genannt. Die Bergstadt liegt inmitten des Naturparks Harz in Niedersachsen und des UNESCO Global Geoparks Harz ∙ Braunschweiger Land ∙ Ostfalen. Zudem grenzt die Stadt unmittelbar an den Nationalpark Harz an. Ein Besuch des Geopark-Informationszentrums „Nationalparkhaus St. Andreasberg“ ist lohnenswert.
Dreh- und Angelpunkt der sich entwickelnden Bergstadt bildete der Marktplatz. Hier legten die Grafen von Hohnstein 1521 die Grube St. Andreas an, die dank ihrer Ausbeute zur Entstehung der Stadt St. Andreasberg beitrug und ihr ihren Namen verlieh. Die erste urkundliche Erwähnung des Bergbaus am „sanct andrews berge“ lässt sich bereits auf 1487 datieren. Aufzeichnungen belegen einen Streit über die Abgrenzung von Grubenfeldern. Eine feste Ansiedlung von Bergleuten wird zu diesem Zeitpunkt jedoch bezweifelt. Die Bergstadt entwickelte sich schließlich ab 1528 mit dem Erlass einer Bergordnung, nachdem 1527 zum zweiten Mal die (nun erweiterte) Bergfreiheit ausgerufen wurde. Mehr Bergleute als bisher sollten aus dem Erzgebirge zur Migration in den Harz bewegt werden. Die erste ausgerufene Bergfreiheit von 1521 durch die Grafen von Hohnstein war nicht erfolgreich genug. Ebenfalls 1521 ging die Grube Samson in den Betrieb.
Bis 1537 wuchs die Anzahl der Gruben zwar rasant an, die Erträge ließen jedoch schnell wieder nach. Das führte zum Ende der ersten Blütezeit im St. Andreasberger Bergbaurevier. Not und Elend, resultierend aus dem Verlust des Broterwerbs, Pest-Ereignisse sowie der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) zwangen die Menschen vom Bergbau in die Waldarbeit, Köhlerei und in das Holzhandwerk. St. Andreasberg verfügte seit jeher nur über eine relativ kleine Lagerstätte, war und ist aber bekannt für ein sehr konzentriertes Auftreten von seltenen Silbermineralen. Mit rund 200 verschiedenen Mineralen zählt das St. Andreasberger Gangrevier zu den vielfältigsten Fundgebieten Europas. Dies brachte der Stadt den Beinamen „Mineralienkabinett des Harzes“ ein.
Mit zunehmendem Fortschritt der Technik durchlebte der St. Andreasberger Bergbau ab dem Ende des 17. Jh. eine zweite Blütezeit. Wiederholt ursächlich für Krisen war auch der Mangel an Aufschlagwasser, das u. a. zum Heben von Grubenwasser oder in Pochwerken benötigt wurde, die der Zerkleinerung der Erzbrocken dienten. So entwickelten Techniker und Bergmeister ein ausgeklügeltes Wasserversorgungssystem. Es ist heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes Bergwerk Rammelsberg, Altstadt von Goslar und Oberharzer Wasserwirtschaft. In der Anlage des 1721 fertiggestellten Oderteiches erreichte das Prinzip der Wasserspeicherung eine neue Dimension. Nichtsdestotrotz blieb die Ausbeute in den St. Andreasberger Gruben über die nächsten zwei Jahrhunderte unbeständig. Auch weitere technische Neuerungen wie die Erfindung der Fahrkunst (1837), die Erfindung des Drahtseiles (nach 1834) oder der Entwicklung wirkungsvollerer Sprengmittel, gefolgt von maschinellem Bohren (1889) konnten daran nicht viel ändern. Mit Schließung der Grube Samson im Jahr 1910 nach beinahe 400 Jahren Betriebszeit endete der Erzbergbau in St. Andreasberg.
Keinesfalls endete damit jedoch die Betriebsamkeit! Nur zwei Jahre später sollten die Wasser, die weiterhin der Grube zuflossen, der Stromerzeugung dienen. So installierte die Firma Dr. R. Alberti im Jahr 1912 in 190 m unter der Erdoberfläche das Wasserkraftwerk „Sieberstollen“. Seither treibt das Oberflächenwasser, das über den insgesamt 810 m tiefen Schacht der Grube Samson einfällt, darin aufgehängte Turbinen an und läuft anschließend über einen Wasserlösungsstollen ab, um schlussendlich den Harzfluss Sieber zu speisen. Sämtliche tieferliegende Grubenbauanlagen stehen aufgrund der mangelnden Abflussmöglichkeit sowie der stillliegenden Bergwerkspumpen unter Wasser. 60 m über dem Sieberstollen, d. h. 130 m unter der Erdoberfläche, erfolgte 1922 eine Erweiterung durch das Kraftwerk „Grüner Hirsch“. 1927 gingen die Anlagen in den Besitz der Licht- und Kraftwerke Harz über, die seither beide Kraftwerke unterhalten. Im Harz sind sie die letzten unterirdisch betriebenen Grubenkraftwerke. Weltweit einzigartig ist zudem, dass die 1837 verbaute, historische Fahrkunst weiterhin in Betrieb ist: Durch sie gelangen Wartungstechniker zu den in 130 m und 190 m Tiefe gelegenen Turbinen.
Die Grube Samson wird international als technisches Denkmal anerkannt und ist seit 1951 als Bergbaumuseum öffentlich zugänglich. Die gut erhaltenen Tagesanlagen bestehen aus dem Schachtgebäude, einem 9-m-Kehrrad mit Seilkorb und Seiltrift sowie einem 12-m-Kunstrad, das die Fahrkunst antrieb. Im Gaipel der Grube Samson befindet sich zudem ein weltweit einmaliges Kanarienvogelmuseum. Die Zucht des Kanarienvogels „Harzer Roller“ hat in St. Andreasberg eine lange Tradition. Ab dem 19. Jh. halfen die Vögel den Bergleuten unter Tage, den Sauerstoffgehalt der Luft richtig einzuschätzen. Stoppte der Vogel seinen Gesang oder fiel plötzlich um, war Gefahr in Verzug! Die Zucht und der florierende Handel des Harzer Rollers sowie die Herstellung von Käfigen waren zudem rentabler Zusatzerwerb zum knappen Bergmannslohn. So entwickelte sich Sankt Andreasberg bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts zum Zentrum der Harzer Kanarienzucht unter Beteiligung von knapp 350 ortsansässigen Familien und einem weltweiten Export.
von Annelies Stolle
Quellen:
Brückner, J., Denecke D., Porada H. T. & U. Wegener (2016): Der Hochharz - Vom Brocken bis in das nördliche Vorland. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme im Raum Bad Harzburg, Wernigerode, Sankt Andreasberg, Braunlage und Elbingerode. Aus der Reihe: Landschaften in Deutschland. Werte der deutschen Heimat, Band 73, Böhlau Verlag, Köln.
Großmann, G. U. (1989): Hannover und das südliche Niedersachsen. Geschichte, Kunst und Landschaft zwischen Harz und Weser, Braunschweig und Göttingen. DuMont Buchverlag, Köln.
Ließmann, W. (1992): Historischer Bergbau im Harz: Ein Kurzführer. Schriften des Mineralogischen Museums der Universität Hamburg, Band 1, Verlag Sven von Loga, Köln.
Schröpfer, T. (2000): Fundgrube: Wissenswertes über den Westharzer Bergbau und das Hüttenwesen; mit zahlreichen Stichwörtern aus den Bereichen Archäologie, Bergbau, Botanik, Geographie, Geologie, Hüttenkunde, Lagerstättenkunde und Mineralogie. Schriftenreihe des Oberharzer Geschichts- und Museumsverein e. V., Piepersche Druckerei und Verlag GmbH, Clausthal-Zellerfeld.
Stedingk, K., Ließmann, W. & R. Bode (2016): Harz: Bergbaugeschichte – Mineralienschätze - Fundorte. Bode Verlag, Lauenstein.